Stottern

1. Einführung

Bei fast allen Kindern treten während der Sprachentwicklung Sprechunflüssigkeiten als normale Entwicklungsbegleiter auf. Das Kind ist gefordert sich an die richtige Sprechbewegung heranzutasten, die grammatikalisch korrekte Form zu finden und nach dem passenden Wort in seinem Wortschatz zu suchen. Während dieser Suchprozesse kommt es zu vielen Wiederholungen, Pausen oder Umstellungen. Dabei handelt es sich um Übungs-, Rückmelde- und Korrekturprozesse, die zur gesamten Sprachentwicklung beitragen. Kennzeichen der normalen, entwicklungsbedingten Sprechunflüssigkeiten ist, dass die Sprechunterbrechungen ohne jegliche Anstrengung geschehen. Aus diesen entwicklungsbedingten Sprechunflüssigkeiten kann Stottern entstehen.

Beim Stottern kommt es auffallend oft zu Unterbrechungen des Redeflusses. Die stotternde Person weiß zwar ganz genau, was sie sagen möchte, kann aber momentan die erforderlichen Sprechbewegungen für die Umsetzung des Inhaltes nicht fließend ausführen. Stotternden Menschen ist ihr Sprechen oft peinlich oder unangenehm.

Ein Zusammenwirken von Anlagebedingungen und ungünstig ergänzenden Entwicklungsbedingungen wird für das Entstehen von Stottern verantwortlich gemacht. 5% aller Kinder entwickeln Stottersymptome. Es tritt bei Jungen wesentlich häufiger auf als bei Mädchen und kann auch familiär gehäuft auftreten. Vererbt wird jedoch nicht das Stottern selbst, sondern die Veranlagung zu ungünstigem Spracherwerb. Die Labilität des Sprechsteuersystems kann in der weiteren Entwicklung kompensiert werden. Von den 5% kindlicher Stotterer bleibt das Stottern bei etwa 1% bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen (Hansen & Iven, 2011).

Quellenangaben:
Hansen, B. & Iven, C. (2011). Stottern bei Kindern. Ein Ratgeber für Eltern und pädagogische Berufe. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH.

2. Was versteht man unter Stottern?

Stottern ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern setzt sich aus individuell unterschiedlichen sprachlichen, motorischen und psychosozialen Symptomen zusammen. Der Sprechablauf ist intermittierend gestört. Wiederholungen, Dehnungen oder völlige Blockierungen von Lauten, Silben und Worten unterbrechen häufig die Rede. Beispiele für diese Kernsymptomatik sind:

  • Ganzwortwiederholungen: wenn spannungsreich und mit schnellen Wiederholungen
  • Teilwortwiederholungen: „Be-be-be-be-bestimmt kommt Daniel gleich!“
  • Wiederholung von Lauten: „K-k-k-k-kann ich aufhören?“
  • Lautdehnungen: „Sssssssiehst du den Ball dort drüben?“
  • Unfreiwillige Blockierungen: „Ich b- -rauche noch Geld!“

Wenn mehr als 3% der gesprochenen Silben solchen symptomatischen Unflüssigkeiten zugeordnet werden können, spricht man von Stottern.

Zu dieser Kernsymptomatik kann eine Begleitsymptomatik kommen: Sie entwickelt sich ganz individuell aus dem Bedürfnis, die Kontrolle über den Sprechablauf wieder zu erlangen. Es kann sich dabei beispielsweise um das Vermeiden unangenehmer Sprechsituationen handeln, die wiederum die Entwicklung von Sprechängsten und soziale Isolation begünstigen können.
Bei der Begleitsymptomatik unterscheidet man zwischen

sprachlicher Ebene (z.b. verbales Vermeiden: Ersatz von Wörtern oder Satzteilen durch subjektiv einfacher auszusprechende „meine T—die Schwester meines Vaters“)

nicht-sprachlicher Ebene (z.B. Mitbewegungen der Extremitäten, des Oberkörpers oder des Kopfes, oder vegetative Reaktionen wie Erröten, erhöhter Puls, Schweißausbrüche, Bauchschmerzen und Zittern)

und psychischer Ebene (Ängste, eingeschränkte Frustrationstoleranz, soziale Einschränkungen).

Mit Sorgfalt sollte vor allem die psychische Ebene der Begleitsymptomatik beurteilt werden, da sie von großer Bedeutung für die Gesamtentwicklung des Kindes ist.

Beim Stottern können flüssige mit unflüssigen Phasen wechseln. Bestimmte Situationen (z.B. Hektik oder Telefonieren) können sich negativ auf den Redefluss auswirken. Die Symptomatik hängt oft von äußeren Faktoren ab. (Ochsenkühn, Thiel & Ewerbeck, 2010)

Quellenangaben:
Ochsenkühn, C., Thiel, M.M. & Ewerbeck, C. (2010). Stottern bei Kindern und Jugendlichen. Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie. 2.Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag.

3. Fakten

  • Etwa 1% aller Erwachsenen zeigt eine Stottersymptomatik.
  • Jungen entwickeln Stottern häufiger als Mädchen. In der Kindheit beträgt das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Stotterern 3:1 – verschiebt sich dann bis ins Erwachsenenalter auf 9:1.
  • Im Lauf ihrer Sprachentwicklung machen etwa 80% aller Kinder eine Phase mehr oder weniger starker physiologischer Unflüssigkeiten durch, die sich nach wenigen Wochen bis Monaten wieder legt. (Ochsenkühn, Thiel & Ewerbeck, 2010)
  • Es gibt keine sicheren Unterscheidungskriterien zwischen Kindern, bei denen das Stottern aufrecht bleibt und den später wieder flüssig sprechenden Kindern. Das heißt, daran wie früh oder stark die Symptome auftreten, kann man nicht sicher ablesen, wie sie sich entwickeln. Beim Großteil der Kinder führt frühe Therapie zu guten Erfolgen. (Hansen & Iven, 2011)
  • Bei vielen Kindern kommt es spontan oder durch Therapie zu einer Rückbildung des Stotterns. Erschwerende Faktoren dafür sind männliches Geschlecht, stotternde Familienmitglieder, hartnäckige, schwer beeinflussbare Symptome, früh anfangendes Stottern ohne vorgelagerte Phase flüssigen Sprechens, bei sonst unauffälliger Sprachentwicklung
  • Kritische Phasen für den Beginn des Stotterns sind die frühe Kindheit (2/3 entwickeln die Störung bis zum 6. Lebensjahr - sensible Phase des Spracherwerbs) und der Eintritt in die Pubertät.
  • Selten beginnen Erwachsene zu stottern; die Ursachen dafür sind vermutlich überwiegend neurogen und psychogen.
  • Stottern tritt in vielen Fällen familiär gehäuft auf. Man geht davon aus, dass die Anlage zum Stottern (d.h. die erhöhte Bereitschaft zur Entwicklung) und nicht das Stottern an sich vererbt wird. Bisher konnte kein Stottergen isoliert werden. Bei gehäuftem Stottern in der Familiengeschichte besteht für das Kind ein erhöhtes Risiko ebenfalls Stottern zu entwickeln. Der genaue Zusammenhang ist aber noch nicht bekannt. (Ochsenkühn, Thiel & Ewerbeck, 2010)
  • Stottern ist keine psychische Störung. Stotternde Kinder unterscheiden sich nicht in ihren Persönlichkeitsmerkmalen von nicht-stotternden. Mögliches auffälliges Sozial- und Kommunikationsverhalten kann die Folge des Stotterns sein, ist jedoch nicht Ursache (z.B. starker sozialer Rückzug, Aggressivität, Unsicherheit, Anspannung oder Ängste können Folge langandauernder negativer Kommunikationserfahrungen wie Hänseleien und Herabsetzung durch den Kommunikationspartner sein).
  • Die Intelligenz zeigen sich zwischen stotternden und nicht stotternden Kindern keine Unterschiede.
  • Auch das Erziehungsverhalten der Eltern stotternder Kinder unterscheidet sich nicht von denen, deren Kinder nicht stottern. Stottern ist also keine Folge von Erziehungsfehlern.
  • Die auffällige Sprechatmung ist Folge und nicht Ursache der Redeflussunterbrechungen. Die Atemfunktion selbst ist nicht primär gestört.
  • Stottern ist ein Sprechbewegungsproblem. Meist ist es das Ergebnis von disponierenden Faktoren und ungünstig zusammenwirkenden Entwicklungsbedingungen.
  • Viele stotternde Menschen können ohne Störung singen. Sehr wahrscheinlich, weil fürs Singen andere Sprechsteuerungsabläufe nötig sind als fürs Sprechen. (Hansen & Iven, 2011)
  • Die Prognose ist umso günstiger, je früher die Behandlung einsetzt und je größer das Verständnis und die Bemühungen der Eltern sind. (Hensle, 1994)

Quellenangaben:
Hansen, B. & Iven, C. (2011). Stottern bei Kindern. Ein Ratgeber für Eltern und pädagogische Berufe. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH.
Hensle, U. (1994). Einführung in die Arbeit mit Behinderten. 5. Auflage. Wiesbaden: Quelle und Meyer Verlag GmbH & Co.
Ochsenkühn, C., Thiel, M.M. & Ewerbeck, C. (2010). Stottern bei Kindern und Jugendlichen. Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie. 2.Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag.

4. Was tun, wenn mein Kind zu stottern beginnt?

Eltern sollten dann professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen, wenn sie sich Sorgen aufgrund der Sprachunflüssigkeiten ihres Kindes machen (Hansen & Iven, 2011).
Für einen frühen Therapiebeginn spricht, dass unflüssige Sprachmuster dann noch nicht so komplex und die Begleitsymptome noch nicht so ausgeprägt und manifestiert sind. Das gesamte Störungsbild ist leichter beeinflussbar. Die Remission ist umso wahrscheinlicher, je jünger das Kind ist (Ochsenkühn, Thiel & Ewerbeck, 2010).
Es ist also ratsam frühzeitig einen Sprachtherapeuten aufzusuchen und abklären zu lassen, ob und wenn ja, in welcher Form (Behandlungsmöglichkeiten, optimaler Zeitpunkt, etc.) eine Sprachtherapie erfolgen sollte.
Wie weiter oben bereits ausgeführt, kann zur Kernsymptomatik auch eine Begleitsymptomatik auf psychischer Ebene kommen. Dieser sollte Aufgrund ihrer Bedeutung für die Gesamtentwicklung des Kindes besonderes Augenmerk zu Teil werden.

Quellenangaben:
Hansen, B. & Iven, C. (2011). Stottern bei Kindern. Ein Ratgeber für Eltern und pädagogische Berufe. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH.
Ochsenkühn, C., Thiel, M.M. & Ewerbeck, C. (2010). Stottern bei Kindern und Jugendlichen. Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie. 2.Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag.

5. Psychologische Behandlung

Flüssig zu Sprechen kann auf verschiedenen Ebenen unterstützt werden. Daher erscheint es sinnvoll, begleitend zur logopädischen Therapie eine psychologische Behandlung in Anspruch zu nehmen, um die psychischen Begleiterscheinungen des Stotterns zu entschärfen und damit auch positiv zur Milderung der Sprechunflüssigkeiten beizutragen.

Diese Begleiterscheinungen können unter anderem bestehen in (Ochsenkühn, Thiel & Ewerbeck, 2010):

  • weitgehenden sozialen Einschränkungen
  • Vermeidungsverhalten
  • Aggressivität
  • Scham
  • negativer Selbstbewertung
  • Ängsten
  • Störungsbewusstsein und damit einhergehendem Leidensdruck
  • eingeschränkter Frustrationstoleranz
  • eventuellem Vorliegen von Schuldgefühlen bei den Eltern

Mit den Methoden psychologischer Behandlung sollen diesen Begleiterscheinungen bearbeitet und abgemildert werden. Das Selbstvertrauen und die Kommunikationsfreude sollen gestärkt und der Kommunikationsdruck und -unsicherheit vermindert werden.

Die psychologische Behandlung zielt dabei ab auf die Reduktion von sozialem Stress, Entspannung (z.B. durch Biofeedback, Progressive Muskelrelaxation), den Abbau von Ängsten und Aggressionen, die Förderung des Selbstvertrauens, die Erhöhung der Frustrationstoleranz, die Entlastung der Eltern von Schuldgefühlen und dgl. und ergibt sich aus der individuellen Problematik.

Quellenangaben:
Ochsenkühn, C., Thiel, M.M. & Ewerbeck, C. (2010). Stottern bei Kindern und Jugendlichen. Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie. 2.Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag.